1984

1984

Nach dem Roman von George Orwell
Bühnenfassung von Robert Icke und Duncan Macmillan

 

Fotos: Benjamin Westhoff

 

Rezensionen
Orwells Negativutopie erlebt gerade eine neue Hochkonjunktur, nicht nur durch diese Inszenierung unter der Regie von Reiner Müller. Aus den Achtzigerjahren könnte die monströse Techniklandschaft aus Rechnern, Projektionsflächen und Monitoren stammen, die in Hildesheim das Bühnenbild (Eva Humburg) bildet. Das verschränkt mit seinen fast schon Retrocharme verströmenden Röhrenmonitoren erstaunlich gut die drei Zeitebenen 1948, 1984 und 2017 – und das schon bevor die ersten Worte von der Bühne herab gesprochen werden.
Quälend lange erlebt das Publikum in der (mit Pause) zweieinhalbstündigen Aufführung, wie sich Winston in der Folter unter Stromschlägen aufbäumt. Doch so kann man genau verfolgen, dass diese Stromstöße mit genau jenen Tablets ausgelöst werden, die anfangs auch die Drohne lenken. Fast jeder hat heute ja so ein Gerät zu Hause – als Medium harmlosen Enter- und Infotainments.
Hannover Allgemeine Zeitung, 6. November 2107

 

Ein kleines Mädchen sitzt auf einem Bett. Es ist allein. Es ist dunkel. Nur der kalte Lichtschein eines Tablets fällt auf ihr Gesicht. Eigentlich eine harmlose Szene. Eigentlich. Doch nach gut 160 Minuten der aufwühlenden TfN-Inszenierung von George Orwells düsterem Zukunftsroman „1984“ ist dieses leise Schlussbild nicht anders, denn als Mahnung und Warnung zu verstehen.
Die sadistischen Folterszenen sind quälend. Sie gehen unter die Haut – vielleicht eben weil ihr erschreckender Höhepunkt, die zur Folter eingesetzten, ausgehungerten Ratten, nur angedeutet wird, die Szene wesentlich im Kopf des Betrachters stattfindet.
Nach zweieinhalb atemberaubenden Stunden gibt es für Reiner Müllers gelungene Inszenierung und ein großartiges Ensemble einen Riesenapplaus.
Leine-Deister-Zeitung, 2. Dezember 2017

 

Big Data ist Big Brother. Unter diesem Leitsatz inszenierte Reiner Müller am Theater für Niedersachsen die Bühnenfassung von Orwells Klassiker „1984“. Das ersten Aufeinandertreffen von Winston und Julia ist von einer überraschenden Lyrik geprägt. Fast möchte man mit dem Liebespaar träumen. Die junge Mutter an der Wäscheleine wird später noch einmal solch lyrische Momente erzeugen. Das ist völlig anders als erwartet. Es gibt dem Zuschauer aber die Zeit, seinen Assoziationen und Vergleichen freien Lauf zu lassen. Somit kann jeder seine Parallelen zwischen Orwells Neusprech und den aktuelle Sprachverzerrungen durch PC und Gute-Laune-Kultur ziehen.
Müller und Humburg schaffen es, erschreckende, eindringliche Bilder zu produzieren. Da ist die Erschießung vor laufender Kamera. Die Gefangenen mit Tüte auf dem Kopf rufen Erinnerungen an Abu Graib wach. Als das Kind mit dem Finger die Ränge und das Parkett abfährt und das Publikum warnt „Big Brother is watching you“, da stockt kurz der Atem.
Gut herausgearbeitet sind auch die Gruppenprozesse in der Hass-Woche. Auf der Bühne geschieht dies analog, doch es wird klar, dass ähnliche Prozesse in der digitalen Welt tagtäglich so ablaufen. In der Gruppe ist der Einzelne viel leichter zu manipulieren.
Das harte Regime wird immer wieder mit den Bildern der vermeintlichen Idylle in Charringtons Hinterhof kontrastiert. Die Vergangenheit wird zum Zukunftsentwurf weil die Gegenwart so grausig. Doch die Idylle ist inszeniert und bei Orwell steckt jede Menge Matrix drin. Was aber bleibt, das sind die schockierende Darstellung  der Folter und der erneute Anklang an die Bilder aus Abu Graib.
Harzer Kritiker, 9. November 2017

 

Inszenierung Reiner Müller
Bühne, Kostüme und Video Eva Humburg
Mit Moritz Nikolaus Koch (Winston), Katharina Wilberg (Julia), Marek Egert (O’Brien/ Charrington), Joëlle Rose Benhamou (Syme/ Mrs. Parsons/ Mutter), Martin Schwartengräber (Mr. Parsons/ Moderator); Statisterie: Philipp Steinmann (Martin), Rüya Gürcan (Martine), Joris Behrendt/ Vanessa Peschel/ Mia Fee Rössing/ Arnim Hinrich Trojak (Ein Kind)

Premiere: 4. November 2017, Stadttheater Hildesheim

 

Inhalt
„Big Brother is watching you!“ Die totale Überwachung im Staat Ozeanien hat dazu geführt, dass eine allmächtige Partei Fakten und Geschichtsschreibung nach eigenem Gutdünken manipulieren kann. Die Mitbestimmung des Volkes ist abgeschafft, Informationen über das Zeit- und Weltgeschehen werden zugeteilt. „Unwissenheit ist Stärke“, lautet ein Leitspruch der totalitären Partei. Die Bürger haben sich daran gewöhnt, selbst die widersprüchlichsten Lügen der Propaganda zu glauben und akzeptieren eine Realität, auf die sie keinerlei Einfluss mehr haben. Nur Winston Smith will sich der Weltsicht der Partei nicht beugen. Er führt heimlich Tagebuch über seine verbotenen Gedanken und Gefühle. Unerschütterlich hält er an seinem Glauben an eine bessere Gesellschaft fest. Als er Julia kennenlernt und sich in sie verliebt, beginnt er gegen das System zu rebellieren. Doch da sind beide bereits in die Schusslinie der Partei geraten.